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"Wäre es nicht an der Zeit, dass wir neue und bessere Antworten im Umgang mit Treue finden?“ (Foto: Andre Furtado/pexels.com)
"Wäre es nicht an der Zeit, dass wir neue und bessere Antworten im Umgang mit Treue finden?“ (Foto: Andre Furtado/pexels.com)

Einzigartige Liebe?

Seien wir ehrlich, die ideale Art, eine Beziehung zu führen, gibt es nicht. Doch es ist möglich, dass ein Paar so miteinander lebt, dass es für beide passt. Ich gebe zu, dass mir das sowohl als Psychologin als auch im privaten Bereich selten begegnet ist. Aber irgendwie schaffen es manche doch. Die meisten Partnerschaften gehen allerdings mehr oder weniger stillschweigend von folgenden Voraussetzungen aus: Wir sind jetzt zusammen und das bedeutet, dass es für mich nur mehr dich gibt und für dich nur mehr mich. Du triffst dich nicht mit einer anderen Frau/einem anderen Mann, pflegst auch keine Freundschaften mit Vertretern des anderen Geschlechts, flirtest nicht, kannst zwar gleichgeschlechtliche Freunde treffen (auch nicht zu oft), verbringst aber die meiste freie Zeit mit mir. Deine Ex-Beziehungen sind insofern erledigt, dass es zwischen euch keinen funken Gefühl mehr gibt, sondern ihr nur notgedrungen in Sachen der gemeinsamen Kinder kommuniziert. Etwaige Probleme besprichst du nur mit mir und baust daher auch keine seelische Beziehung zu wem anderen auf. Und sexuell bist du mir absolut treu. Wenn du mich betrügst, ist das eine Katastrophe und du hast mir damit das Herz gebrochen. Ich werde dir nie vergeben. Entweder verlasse ich dich oder ich bleibe, räche mich aber ein Leben lang dafür.

Zwanghaft monogam?

Kommt Ihnen das – zumindest in Teilen – bekannt vor? Also mir schon. Ich habe zwar mit den Jahren dazu gelernt, dass Liebe immer ein Geschenk ist und Treue nur auf freiwilliger Basis einen Wert hat. Aber bin ich deshalb frei von Eifersucht? Eher nicht. Wünsche ich mir nach wie vor, dass ER nur mich begehrt? Ja. Hat mich ein anderer Mann schon einmal so angezogen, dass ich mir gewünscht habe, mit ihm zu schlafen? Ja, das kam vor. Habe ich es getan? Einmal und danach furchtbare Schuldgefühle gehabt. Ich bin grundsätzlich ein absolut monogamer Mensch, und dennoch ist mir das passiert. Ich habe mich noch Jahre danach gequält, wie unfassbar mein Verhalten war. Später habe ich erfahren, dass mich mein damaliger Partner oft betrogen hat. Es gibt Fragen, die immer wieder mit unterschiedlichem Ergebnis diskutiert werden: Ist der Mensch monogam oder haben uns nur gesellschaftliche Zwänge dazu gebracht, das zu glauben? Ist es also unsere Natur, auch in einer fixen Partnerschaft andere Menschen anziehend zu finden, oder entspringt der Seitensprung einer momentanen Laune, zu viel Alkohol oder dem Wunsch nach Abwechslung? Ist es sogar möglich, zwei oder mehr Menschen gleichzeitig zu lieben?

Polyamorie

Aino Simon, Sozialwissenschafterin und Beziehungscoach hat sich sowohl in ihrem eigenen Leben als auch in dem Buch „Liebe lieber einzigartig“ (erschienen im Goldegg Verlag 2021) auf den Weg gemacht, um auf solche Fragen Antworten zu finden. Diese sind unkonventionell und durchaus auch aufwühlend. Sie stellt das Beziehungsmodell Monogamie nicht grundsätzlich in Frage, sondern möchte Paare ermutigen, sich auch dagegen entscheiden zu können – in gegenseitigem Einvernehmen, mit viel Respekt und noch mehr Selbstliebe. Simon regt dazu an, sich nicht mit einem starren Konzept zufriedenzugeben, sondern ehrlich zu eigenen Bedürfnissen zu stehen, die nicht um jeden Preis der „Moral“ entsprechen. Sie schreibt: „Jede zweite Ehe endet wegen eines Betrugs. Es handelt sich beim Fremdgehen nicht um eine bittere Ausnahme, sondern fast schon um den Normalfall. Ich setze mich mit dem Bedürfnis nach Sicherheit und Freiheit in Beziehungen auseinander. Wenn wir uns vor Augen führen, wie viel Kummer und Schmerz ein Betrug auslöst, dass ganze Familiensysteme zerschellen, wäre es doch an der Zeit, dass wir neue und bessere Antworten im Umgang mit Treue finden.“

Die Autorin hinterfragt in ihrem Buch, ob das, was die Monogamie vorgibt, für die eigenen Gefühle und Bedürfnisse passend ist. Sie möchte zeigen, dass jedes Paar eine Wahl hat, wenn es im Sinne des eigenen Glücks einschränkende Glaubenssätze aufgibt und damit eine Korrektur im Liebes-Mindset vornimmt. So kann eine Beziehungskrise ein Weckruf für die Entdeckung bisher unerfüllter Wünsche sein. Sobald sich eine Beziehung leblos oder unglücklich anfühlt, ist der richtige Zeitpunkt für Veränderung gekommen. Und damit kann sich dann alles zum Positiven verändern: Langeweile, Frust, Lüge, Betrug, Drama. Beziehungscoach Simon erklärt zunächst den Begriff „sexpositiv“: „Das ist eine Beziehung dann, wenn alle Beteiligten ein Höchstmaß an sexueller Befriedigung nach eigenen Wünschen erleben dürfen. Sexpositive Paare gehen davon aus, dass Sexualität nicht auf einen einzigen Menschen fixiert werden kann. Und sie empfinden weitere Sexualpartner nicht prinzipiell als Gefahr.“

Der nächste Schritt ist die Polyamorie. Simon: „Polyamore Menschen inkludieren auch Liebe zu anderen. Es ist ein Sammelbegriff für Beziehungen, die nicht im monogamen Rahmen stattfinden und in denen mehrere langfristige Liebesbeziehungen gleichzeitig stattfinden können. Die Grundlage ist, dass alles im gegenseitigen Wissen und Einvernehmen geschieht. Polyamore Paare glauben nicht, dass sich Sexualität und Gefühl trennen lassen. Sie erlauben daher, dass auch zu Dritten Gefühle von Verliebtheit, Zuneigung, Liebe entstehen dürfen“.

“So wollte ich leben”

Und geht das immer reibungslos ab? Die Paartherapeutin: „Genauso wie in der Monogamie gibt es gut funktionierende Beispiele, und Beziehungen, die den Beteiligten eher Schaden zufügen als Glück verschaffen. Polyamorie kann verletzen, wenn die Machtpositionen der Einzelnen abweichen, Grenzen missachtet werden, psychischer Druck ausgeübt wird oder es Manipulationen gibt“. Also auch nicht immer alles wolkenfrei im offenen Beziehungshimmel. Eine Frau Doktor, die zunächst nichts dagegen hatte, mit vollem Namen genannt zu werden, hat ihre Zustimmung dann doch zurückgezogen. Ich nenne sie also C. R.: „Ich bin mit meinem Mann seit zwölf Jahren zusammen und seit über fünf Jahren verheiratet. Wir führen allerdings eine Fern-Ehe und leben in verschiedenen Städten. Diesen Freiraum brauchen wir beide. Wir leben heute polyamor, das heißt, wir haben auch Beziehungen zu anderen Menschen. Das reicht von engen Freundschaften bis zur romantischen Liebe. Ich habe festgestellt, dass Sex ohne Gefühle für mich auf Dauer nicht funktioniert. Für meinen Mann und mich war es ein langer Weg, unsere Beziehung ehrlich miteinander auf diese Weise zu gestalten. Zuerst sind wir heimlich fremdgegangen, dann kam die Phase der offenen Beziehung. Er war kaum eifersüchtig, ich schon. Obwohl ich immer wusste, dass das ein ungerechtfertigter Besitzanspruch ist, waren meine Emotionen anders. Dann fiel mir ein Buch über Polyamorie in die Hände. Und plötzlich war alles klar: So wollte ich leben. Seither bin ich auch nicht mehr eifersüchtig. Natürlich bedeutet das, dass wir beide nicht so viel Zeit miteinander verbringen, weil wir ja in einer ,Sorgegemeinschaft‘ mit mehreren Menschen zusammen sind. Das hat aber bisher nicht zu ernsten Konflikten geführt. Schwierigkeiten gab es, als ein verheirateter Mann und ich Gefühle füreinander entwickelten, er damit aber seine Frau hinterging. Obwohl ich sehr verliebt war, habe ich die Beziehung beendet, weil ich das ihr gegenüber unfair fand. Die Idee hinter unserer Lebensform ist ja, unproblematisch mehrere Menschen zu lieben. Monogamie ist kein Naturgesetz. Es scheint nur naturgegeben und deswegen wird es selten in Frage gestellt. Im Gegenteil: Jede Abweichung von dieser ,Norm‘ gilt als verrückt, seltsam oder gar krankhaft. Aber ich denke, dass es eine bessere Version unserer Gesellschaft gibt.“

Also ich finde es spannend, wie Aino Simon und C. R. ihr Beziehungsleben gestalten. Für mich ist das eher nichts. Vielleicht bin ich aber auch feige und habe Angst, mich den Sehnsüchten meines Partners zu stellen, wenn sie sich nicht auf mich beziehen. Möglichweise habe ich auch Bedenken, meine eigenen Sehnsüchte zuzulassen. Die Furcht sagt: „Das ist nicht anständig“. „Es gehört sich nicht“. Und sie sagt auch: „Wenn du nur den Gedanken daran zulässt, hat nichts mehr Bestand in deinem Leben“. Mein Herz sagt: „Was, wenn es tatsächlich möglich ist, tief vergrabene Bedürfnisse frei zu leben und trotzdem gehalten und geborgen zu sein?“ Das würde mir dann schon gefallen. Aino Simon hält jedenfalls fest: „Ich will in diesem Buch die Monogamie nicht abschaffen. Aber vielleicht können wir sie behutsam weiterentwickeln und das Beste aus allen Welten kombinieren.“

“Beziehungsqualität verbessern und die Selbstliebe stärken“

Aino Simon, 42, Sozialwissenschafterin, Paartherapeutin und Buchautorin, verheiratet, 2 Kinder, über Beziehungen, Sexualität, Vorurteile und Selbstbestimmung.

„Ich stellte schon als junge Frau fest, dass ich in Beziehungen bereits nach kurzer Zeit kein sexuelles Begehren mehr für meinen Partner empfand. Und so ,betrog‘ ich ihn und hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen. Andererseits wollte ich auch nicht auf meine Lustbefriedigung verzichten. Mit 23 traf ich dann meinen späteren Ehemann. Schon beim ersten Date sagte er mir, dass auch er bisher fremdgegangen ist. Wir wollten uns nicht mehr verbiegen und beschlossen, keine monogame Beziehung zu leben. Ich will nicht sagen, dass das einfach war, aber wir sind nun 20 Jahre zusammen und haben es geschafft, unsere Vorstellung von Außenbeziehungen für beide zu verwirklichen.“

Ein Liebesmodell?

„Monogamie bedeutet: Alles mit einem für immer. Damit ist ein Mensch seelisch, emotional und auch sexuell überfordert. Wir dürfen aber alles erleben und das geschieht, wenn man in einem ,Verbund‘ mit mehreren Personen liebt. Ich bin ein sehr treuer Mensch. Aber ich lebe sexuell nicht exklusiv, sondern genieße meinen Körper situativ. Eifersucht ist dabei auch völlig normal, allerdings eine großartige Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung. Wenn ich Angst habe, einen Menschen zu verlieren, fühle ich mich normalerweise entwertet. Doch heute sehe ich das so: Wenn mein Mann etwas anderes will als mich, dann soll er gehen. Meine Welt ist damit nicht zu Ende und mein Wert bleibt unangetastet. Es gibt aber drei Grundbedingungen, die erfüllt sein sollten, damit so ein Liebesmodell funktioniert: Liebeskompetenz bedeutet, in der Lage zu sein, eine Beziehung liebevoll zu gestalten, Konfliktkompetenz heißt Konflikte zu erkennen, anzusprechen und aufzulösen. Der dritte und vielleicht wichtigste Punkt ist die Arbeit an einer stabilen Selbstliebe. Monogame Beziehungen sind nicht schlecht und können gelingen. Vor allem, wenn die Libido bei beiden nicht stark ausgeprägt ist. Wenn aber doch, sollten sich die Paare trauen, darüber zu sprechen, welches andere Liebesmodell eventuell in Frage kommt. Das kann selbst nach 30 Jahren noch geschehen. Das Ziel ist auf jeden Fall, die Qualität einer Beziehung zu verbessern.“

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