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Mag.a Barbara Haid, MSc (ÖBVP-Präsidentin, Foto: Ricardo Gstrein)

„Die mentale Gesundheit ist im öffentlichen Raum angekommen“

KNEIPPWir haben eine Pandemie hinter uns. Aktuell leben wir mit einer massiven Teuerung, Krieg in der Ukraine, Krieg in Israel und unsicheren Zeiten generell. Im Angesicht der Lage, wie geht es uns Österreichern derzeit?

Barbara Haid: Psychisch geht es uns nicht gut. Aber nicht nur in Österreich ist das so. Weltweit befinden wir uns in einem unglaublich belastenden Gesamtzustand. Auslöser war die Coronapandemie mit ihren sozialen Einschränkungen und dann haben sich andere Krisen quasi draufgesetzt. Wie bei einer Lawine kam immer mehr hinzu. Die Psyche der Menschen erholt sich dann nicht mehr, wenn nach einer Krise die nächste folgt und so weiter. 

Aber der Mensch befindet sich immer wieder in Krisen. Was ist jetzt anders?

Im Vergleich zu vorherigen Jahren sehen wir zunehmend, dass sich viele Menschen einfach nicht mehr erholen. Denn irgendwann können wir mit dem Verstand herausfordernde Situationen, Krisen, Leid etc. nicht mehr einordnen und dann verschiebt es sich in die Psyche. Wenn etwas zu viel wird, reagiert Körper, Geist und Psyche. Mittlerweile haben in der westlichen Welt psychische Erkrankungen alle körperlichen Erkrankungen überholt. Laut WHO wird im Jahr 2030 die Depression die häufigste Erkrankung sein. 

Ist das reine Beobachtung oder auch in Studien nachzuweisen?

Es brennt an allen Ecken. Das ist auch in Studien belegt. Depressionen, Schlafstörungen, Essstörungen, Suchterkrankungen oder Angststörungen sind alle in den letzten Jahren gestiegen. In den Jahren davor gab es immer Spitzen diverser Erkrankungen. Also einmal wurden mehr Depressionen verzeichnet, dafür weniger Suchterkrankungen usw., aber jetzt sehen wir, dass auf allen Ebenen die psychischen Erkrankungen mehr wurden. 

Wie geht es den jungen Menschen?

Die sind am meisten betroffen. Sie müssen mit einem unglaublichen Maß an Unsicherheit fertig werden und sie haben parallel dazu noch weniger Resilienz entwickelt, also die Erfahrung, mit Problemen umzugehen und gestärkt hervorzukommen. Zudem brauchen sie derzeit alle Kraft, um das zu erhalten, was sie derzeit haben und fürchten um ihre Zukunft. Vor allem die Teuerung und der Klimawandel geben ihnen weder Hoffnung noch Perspektive für die Gestaltung ihrer Zukunft. Sie fühlen sich also sehr verloren und alleine.

Wie kann man ihnen helfen?

Wir müssen die Jugend ernst nehmen und ihnen das Gefühl geben, dass sie sich auf uns verlassen können. Sie benötigen wieder das Grundvertrauen in die Welt, Gesellschaft und Politik. Sie brauchen eine gute Bildung und im Grunde eine gute Begleitung. 

In einer Aussegnung des ÖBVP heißt es: „Politik soll gewährleisten, dass psychotherapeutische Behandlung für alle leicht zugänglich und selbstverständlich leistbar ist.“ Ist sie das aktuell nicht?

Nein. Denn es gibt zu wenig Kassen finanzierte Plätze und es wird zu wenig Geld in die Hand genommen, damit die Menschen, die Psychotherapie benötigen, auch eine finanziert bekommen. Viele Psychotherapeuten würden gerne mehr Kassenplätze anbieten, aber sie können es sich zu den Rahmenbedingungen und derzeitigen Kassenpsychotherapietarifen nicht leisten. 

Haben wir genug Psychotherapeuten?

Ja. Aktuell verzeichnen wir 11.300 Psychotherapeut*innen im Land. Auch der Nachwuchs ist gesichert. Allerdings sieht man, dass im ländlichen Raum Psychotherapeuten fehlen und wie bereits erwähnt fehlen Kassen finanzierte Plätze. 

Ist die Hemmschwelle Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, in den letzten Jahren gesunken?

Definitiv. Heutzutage ist es leichter über seine psychischen Probleme zu reden als noch vor fünf Jahren. Die mentale Gesundheit ist im öffentlichen Raum angekommen. Erkrankungen werden früher wahr- und ernstgenommen.

Warum ist es dennoch nach wie vor so, dass man leichter über seine körperlichen Beschwerden redet, als darüber wie es einen psychisch geht?

Körperliche Probleme sind sichtbar, spürbar, fassbar und dadurch begreifbarer für uns. Psychische Probleme machen Angst, weil sie nicht so greifbar sind. Zudem werden sie oft mit Schwäche assoziiert. Zudem spielt auch die Schuldfrage hier mit. Bei körperlichen Beschwerden wird oft auf das Schicksal verwiesen oder es ist halt normal, dass der Körper irgendwann alt und krank wird. Bei psychischen Erkrankungen sucht man regelrecht danach, wer schuld ist daran, dass es „mir“ jetzt nicht gut geht. Man stellt sich selbst mehr in Frage. Wir sehen aber auch, dass es jungen Menschen viel leichter fällt über ihre Probleme zu reden als älteren. 

Haben Sie Tipps für Menschen, die sich aktuell in einer Krise befinden?

Bei Kindern und Jugendlichen bis 21 Jahre darf ich auf das Projekt „Gesund aus der Krise“ verweisen. Es handelt sich dabei um ein vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gefördertes Projekt, das vom Berufsverband Österreichischer PsychologInnen (BÖP) gemeinsam mit uns vom ÖBVP umgesetzt wird. Hier bekommen Jugendliche, die psychisch belastet, Sorgen und Ängste haben bis zu 15 Beratungsstunden kostenfrei. Eine weitere Möglichkeit ist die fit4SCHOOL Hotline des ÖBVP, welche werktags von 14-15 Uhr unter 05-12561734 für Schüler:innen, Eltern und Lehrpersonen erreichbar ist.

Bei Erwachsenen kann ich immer wieder nur sagen: Suchen Sie sich Möglichkeiten, über Ihre Probleme zu reden. Erste Hilfe bieten hier beispielsweise die psychosozialen Zentren, um zu sehen, was man konkret braucht. Nicht jeder braucht gleich eine lange, tiefgreifende Psychotherapie. Manch einer benötigt nur ein paar Beratungsstunden oder eine soziale Beratung in Bezug auf die Teuerung. Es gibt allerdings keine einheitliche Auflistung von Versorgungsvereinen. In jedem Bundesland gibt es unterschiedliche Angebote und Zugangskriterien.

Danke für das Gespräch. 

Tipp

Projekt Gesund aus der Krise für Kinder- und Jugendliche: www.gesundausderkrise.at.
Konkrete Angebote für Psychotherapie sind über die Website des ÖBVP www.psychotherapie.at abrufbar.

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