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Wie Hirnareale miteinander verschaltet sind und interagieren, ist Hirnforschern noch weitestgehend unklar (Foto: Jezperklauzen /iStockphoto.com)
Wie Hirnareale miteinander verschaltet sind und interagieren, ist Hirnforschern noch weitestgehend unklar (Foto: Jezperklauzen /iStockphoto.com)

Das Wunderwerk Gehirn

Das Bauwerk Gehirn beschämt jeden noch so hoch entwickelten Computer. Der ist zwar jetzt schon imstande, Menschen zu imitieren, beim Schach zu gewinnen oder komplexe Berechnungen in Sekundenschnelle zu meistern. Aber wenn es um das Unterscheiden von Ursache und Korrelation geht, also echte Zusammenhänge im Gegensatz zu unechten, zufälligen, fällt es dem Computer ungleich schwerer als dem Menschen. Auch in sozialen Gruppen eine Stimmung zu erkennen, Sympathie und Empathie, Mitgefühl, Mitleid, Trauer, Angst, Freude zu empfinden, Liebesgedichte zu schreiben, Wutausbrüche zu haben, all das kann ein Computer nicht.

Netzwerk Gehirn

Das kann sehr wohl unser Gehirn mit seinen 86 Milliarden Nervenzellen, von denen jede mit etwa 1.000 Kontaktstellen (Synapsen) über elektrische Signale mit anderen Nervenzellen verbunden ist. Dann sind da noch die Gliazellen, eine Art Isolierung um die Nervenzellen, die auch für eine Blut-Schranke sorgen, die verhindert, dass unerwünschte Stoffe ins Gehirn gelangen. Besonders dicht gedrängt findet man Nervenzellen im Kleinhirn, wo sie für vier Fünftel der lebensnotwendigen Abläufe im Körper sorgen: für Motorik, für Koordination der Muskeln und deren Feinabstimmung, für unbewusste Planung und das Erlernen von Bewegungsabläufen. Im kleinen, darunter liegenden Hirnstamm sitzt die überlebenswichtige Schaltzentrale für Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung. Auch der Schlaf wird von hier aus reguliert. Für verschiedene Reflexe wie Lidschluss-, Schluck- und Hustenreflex ist der Hirnstamm ebenso verantwortlich. Dieser Teil des Gehirns ist evolutionär der Älteste. Das Zwischenhirn samt Mandelkern (Amygdala), arbeitet als Informationsfilter und entscheidet, welche Sinneseindrücke ins Bewusstsein vordringen und wie sie emotional eingefärbt werden. Auch der Hypothalamus, die Verbindung zwischen Hormon- und Nervensystem, sitzt hier. Er ist ein wichtiges Steuerzentrum für Körpertemperatur und den Wasser-Salzhaushalt, aber auch für den Sexualtrieb, für Schmerz- und Temperaturempfinden.

Denken und Handeln

Hirnforscher haben bisher die einzelnen Regionen des Gehirns kartiert und einige Funktionen zuordnen können. Doch wie die Hirnareale miteinander verschaltet sind und interagieren, ist noch weitestgehend unklar. Einigkeit besteht darin, dass Netzwerke – vergleichbar mit dem Internet – ein wichtiges Organisationsprinzip unseres Gehirns sind. Die Dimensionen sind beeindruckend: Da jede Nervenzelle mit etwa 1.000 anderen in Verbindung steht, erreicht ein Signal in nur zwei Schritten insgesamt eine Million Neuronen. Rein rechnerisch ist daher kein Neuron mehr als vier Schritte von jeder anderen Nervenzelle entfernt, die Signalweiterleitung passiert elektrisch und biochemisch. Die an der Übertragung beteiligten Signalmoleküle sind die Neurotransmitter.

Innerhalb dieses gigantischen Netzwerks findet unser Denken, Fühlen und Handeln statt. Das Geheimnis liegt im Zusammenwirken verschiedener neuronaler Netze in den einzelnen Hirnregionen. Manche dieser Netze sind genetisch festgelegt und bilden sich dauerhaft aus, andere bestehen nur für kurze Zeit. Die Fehlinterpretationen und Täuschungen, mit denen dieses gigantische neuronale Netzwerk uns ständig zu schaffen macht, merken wir oft nicht, und meistens stört es auch nicht wirklich. Aber verstören kann es schon, wenn man bewiesen bekommt, wie wenig man über sich selbst und seine Reaktionen weiß, woher sie kommen, warum man sich wie entscheidet, und wie leicht man beeinflussbar ist.

• „Autopilot“. Immerhin treffen wir täglich 100.000 Entscheidungen. Und für alles, was die Routine übersteigt, müssen neue Netzwerke angelegt, Botenstoffe und ganze Signalkaskaden hochgefahren werden, für die andere Körperfunktionen gedrosselt werden: Wer geistig intensiv arbeitet, hat bald kalte Hände und Füße, das Gehirn saugt die Energie ab. So schalten wir gerne auf „Autopilot“ und lenken bereits nach 40 Sinneseindrücken Millionen weiterer Reize ins Unterbewusstsein. Dort lagert das Wissen so lange, bis wir es brauchen: Bei Intuition gelangt ein kleiner Teil ins Bewusstsein, und dann wissen wir plötzlich etwas, das wir uns nicht erklären können. Oder reagieren unerwartet: Neurowissenschafter Dr. Gerhardt Roth von der Uni Bremen schätzt, dass uns nur 0,1 Prozent dessen, was das Gehirn tut, bewusst wird. 

• Positiv-negativ. Dem „Autopiloten“ haben wir allerdings schon seit Urzeiten das Überleben in einer feindlichen Umwelt zu verdanken, und er beeinflusst uns aus dem Unterbewusstsein heraus bis heute, warnt uns vor möglichen Gefahren, auch wenn sie gar keine sind: Uns fällt auf einem Foto einer fröhlichen Menschenmenge das eine, wütende Gesicht sofort auf, umgekehrt ist das nicht so. Das Gehirn der Säugetiere (wie der Menschen) ist darauf ausgelegt, schlechten Nachrichten den Vorrang zu geben. Negativ besetzte Wörter ziehen schneller die Aufmerksamkeit auf sich (Krieg, Verbrechen) als positiv besetzte (Liebe, Frieden), was sich alle Medien zu Nutze machen, um Zuschauer, Leser, Klicks zu sammeln. Auch in der Ekel-Forschung lernen wir etwas übers Unterbewusstsein. Der Psychologe Dr. Paul Rozin hat beobachtet, dass eine einzige Schabe in einer Schüssel Kirschen starke Reaktionen hervorruft, im Gegensatz zu einer Kirsche in einer Schüssel voll Schaben, und nannte das Negativitätsdominanz.

• „Priming“-Phänomen. Ganz einfache Experimente beweisen: Wir kennen uns nicht. Nachdem Studenten der Universität New York Sätze mit Wörtern wie „Heim“, „einsam“, „grau“ „langsam“ und „vergesslich“ bilden mussten, die jeder mit dem Altern verbindet, bewegten sie sich langsamer und müder als eine Vergleichsgruppe. Sie erlagen dem „Priming“, dem Beeinflussen einer Handlung durch eine Vorstellung (Alter), die ihnen gar nicht bewusst geworden war. Das funktioniert auch umgekehrt. Studenten, die sich ganz langsam bewegen mussten, fanden Altersbegriffe viel schneller aus einem vorgelegten Wortsalat. Diese reziproken Verknüpfungen kann man auch beim Lächeln beobachten. Erlebnisse erscheinen heiterer, auch wenn man nur „gezwungen“ lächelt.

Netzwerke sind ein wichtiges Organisationsprinzip unseres Gehirns (Foto: Shidlovski/iStockphoto.com).

Täuschen & Tarnen

Abgesehen von optischen Täuschungen, die sich mit evolutionär nützlichen Denkmustern erklären lassen (z. B. klein ist weiter weg, dunkel wirkt kleiner als hell): Was man gesehen hat, hat man doch gesehen. Oder? Wer jemals ernsthaft mit Zeugenaussagen zu tun hatte, weiß es besser: Man kann den eigenen Augen und Ohren nicht trauen. In Versuchen wurden Suggestivfragen gestellt, oder ein (vorher eingeweihter) Mitspieler behauptete, dass z. B. ein Spaziergänger eine rote Mütze aufgehabt hätte. Die meisten „sahen“ diese dann auch in ihrer Erinnerung. Ebenso können Geräusche beeinflussen: Akkordeonklänge im Supermarkt fördern nachweisbar den Absatz von französischem Wein, bayrische Blasmusik ließ zu deutschem greifen.

Eine zuverlässige Methode, Menschen dazu zu bringen, sogar falsche Aussagen zu glauben, ist häufiges Wiederholen (wie es uns die Werbung vorzeigt) – oder sie abzulenken, der Trick jedes Magiers. Ein berühmtes Experiment, das beweist, wie leicht man übertölpelt werden kann, war der „Unsichtbare Gorilla“ der Psychologen Dr. Christopher Chabris und Dr. Daniel Simons. Probanden wurde ein 45-Sekunden-Film vorgeführt und die Aufgabe gestellt, sechs Basketballspieler zu beobachten, von denen drei weiße und drei schwarze T-Shirts trugen, und die sich gegenseitig Bälle zuwarfen. Die Aufgabe lautete, die Pässe der weiß gekleideten Spieler zu zählen. Irgendwann latscht ein Schauspieler im Gorillakostüm durch das Bild, winkt, ist ganze neun Sekunden zu sehen – aber nicht von den Testpersonen. Die waren völlig überrascht, als man sie nach dem Gorilla fragte, und noch überraschter, als sie den Film zum zweiten Mal – und den Gorilla zum ersten Mal – sahen. Keiner hatte ihn bemerkt. Dieses Phänomen nennt man Unaufmerksamkeitsblindheit, man blendet Ablenkungen aus. Je deutlicher sich ein unerwarteter Reiz (etwa der schwarze Gorilla) vom Fokus der Konzentration (Basketballspieler in weißen T-Shirts) unterscheidet, desto leichter entgeht er der Wahrnehmung.

Zwei Denksysteme

In seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ erklärt Daniel Kahnemann, dass es zwei Denksysteme gibt, das Intuitive und das Überlegende, die einander manchmal ergänzen, manchmal überlisten. Das zweite Denksystem, das Gedanken und Verhaltensweisen kontrolliert, ist, wie wir alle wissen, das anstrengendere, auch das „faulere“, das sich oft ausschaltet, wenn es sich überlastet fühlt. Das begründet, warum Menschen, die kognitiv, also im Bereich des Nachdenkens, schneller ausgelastet sind (man könnte sie auch „einfach gestrickt“ nennen), eher egoistische Entscheidungen treffen, schneller sexistische Ausdrücke verwenden, und in sozialen Situationen oberflächliche Urteile fällen. Sie geben auch eher unvernünftigen Versuchungen nach, denn Selbstkontrolle erfordert Aufmerksamkeit und Anstrengung.

In einem Experiment wurden Versuchspersonen z. B. dazu aufgefordert, bei Betrachtung eines besonders kitschigen Films ihre seelischen Reaktionen zu unterdrücken – und waren danach an einem Muskelkraftmesser viel schwächer als zuvor: Die emotionale Anstrengung verringerte die Fähigkeit, Schmerzen anhaltender Muskelkontraktion zu ertragen. Für diese Art von „Selbsterschöpfung“ wurde sogar eine Liste von Situationen aufgestellt: 

die Aufforderung, NICHT an etwas bestimmtes zu denken
emotionale Reaktionen hemmen
oft und schnell konfliktbeladene Entscheidungen treffen müssen
andere beeindrucken wollen
freundlich auf schlechtes Verhalten des Gegenüber reagieren

Die Erklärung: Das Nervensystem braucht viel Glukose, noch mehr, je mehr es sich anstrengt. Da unser gesamter Organismus auf „Faulheit“, auf Energieersparnis ausgelegt ist, wählt er immer den einfacheren Weg.

Das unbekannte Ich

Was können wir also tun, um unser unbekanntes Ich positiv zu beeinflussen? Ganz einfach ist das nicht, denn eine Disposition für psychisches Wohlergehen ist – wie Studien über Zwillinge, die getrennt aufwuchsen, zeigten – genauso erblich wie Körpergröße und Intelligenz. Aber es ist möglich: Viel lächeln hilft, auch an trüben Tagen. Wichtige Entscheidungen zu überschlafen, lässt die Vernunft zu Wort kommen. „Nichts im Leben ist so wichtig, wie man glaubt – wenn man darüber nachdenkt“, weiß Daniel Kahnemann. Auch sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass wir uns meist vor den falschen Dingen fürchten. Also: Gelassenheit üben. Und unserem geheimen Ich damit genauer auf die Finger schauen.

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