Wir spazieren regelmäßig im Wald. Wir besteigen Berge, sammeln Pilze, kochen aus selbstgepfücktem Obst Marmelade ein. Wir sammeln Kräuter und stärken damit unsere Gesundheit. Wir genießen den kühlen See an einem warmen Sommertag. In diesen Momenten sind wir in Kontakt mit der Natur, viele von uns sogar in einem regelrechten Einklang, als würde man gemeinsam schwingen. Wir Menschen kommen dadurch zu Ruhe, können uns entspannen und gewinnen wieder mehr an Lebenskraft und Energie. Die Stadt hingegen verlangt uns sehr viel ab. Sie ist laut, hektisch und Kräfte zehrend.
Früher war der Bezug zur Natur noch intensiver. Naturverbundene Kulturen lebten in einem ständigen Einklang mit ihr. Denn das Überleben der Menschen war unmittelbar an die Natur gekoppelt und von ihr abhängig. Ort und Zeit haben eine große Rolle gespielt. Zog ein Schneesturm auf, überlebte jener, der durch das Deuten des Wetters rechtzeitig seine Schlüsse ziehen konnte. Die Natur war gebend, aber auch nehmend, was sie heute noch ist. Und der Mensch gab ihr Dankbarkeit, Respekt, Ehrfurcht, Hingabe, Liebe und nahm von ihr ebenso, wie beispielsweise Früchte, Tiere, Pilze, Kräuter, Wasser. Meist herrschte eine Balance zwischen Geben und Nehmen. Die Menschen bekamen Kraft durch die Natur und fühlten sich durch die Natur getragen. Und genau durch diesen engen Kontakt mit ihr und das bewusste Erleben mit allen Sinnen erkannten die Menschen auch Plätze und Orte in der Landschaft, von denen eine besondere Kraft ausging. Dies waren oft besonders heilige Plätze. Auch heute noch gibt es sie, die Glücks- oder Kraftplätze. Aber was zeichnet einen solchen Kraftplatz aus?
Energiesystem Erde
Eine alte westliche Kunst und Erfahrungswissenschaft ist die Geomantie. Sie beschäftigt sich unter anderem mit genau diesen Kraftorten. „In der Geomantie befasst man sich mit dem Feinstofflichen, den Energiezentren und -strömen der Erdoberfläche, mit dem Energiesystem der Erde“, sagt Sigrid Csurda-Steinwender, Architektin, Geomantin und Autorin. Dieses Erfahrungswissen über das, was man nicht alleine mit den fünf Sinnen erfassen kann, fließt dann im Idealfall auch in die Architektur oder Landschafts- und Raumgestaltung ein. „Die Erde ist ein lebender Organismus und hat genauso Informationsfelder wie wir Menschen. Man kann das mit den Meridianen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und dem Chakrensystem (ein Teil der indischen Weisheitslehre) vergleichen. Kraftorte sind Orte, die das System der Erde versorgen und eine hohe Energiedichte aufweisen. Das können sehr große Orte oder Naturschauspiele sein wie ein Vulkan oder eine Pilgerstätte, aber auch kleine Plätze“, sagt Csurda-Steinwender und meint damit beispielsweise den eigenen Garten. Denn auch da gibt es Stellen, die energiegeladener sind und andere weniger. „Das erkennt man zum Beispiel daran, dass manche Pflanzen an einer Stelle gar nicht wachsen wollen, aber fünf Meter daneben, wuchert die gleiche Pflanze um so mehr. So wie es auch für uns Menschen Stellen im Garten oder im eigenen Zuhause gibt, wo wir uns sehr gerne aufhalten und andere, wo es uns nicht so hinzieht.“
Zonen mit erhöhter Vitalkraft
Der Architekt, Autor und Geomant Guntram Stoehr schreibt in seinem Buch „Die Natur als Kraftort“ von der Lebenskraft. So sei die Lebenskraft an unterschiedlichen Plätzen verschieden stark ausgeprägt. Ist sie überdurchschnittlich stark, so spricht man von einem Kraftort. Er sagt: „Generell zeichnet sich die Natur durch eine hohe Lebenskraft aus und bietet allen Lebewesen beste Voraussetzungen für ein gesundes und erfülltes Leben. Wenn jedoch beispielsweise auf großen Flächen Monokultur betrieben wird und keine Abwechslung in der Vegetation oder Landschaftsformation vorhanden ist, können sich keine Zonen mit erhöhter Vitalkraft bilden. Als Folge dieser Situation ist dort die Lebenskraft auf einem durchschnittlichen bis niedrigen Niveau.“ Besonders schwach sei die Lebenskraft auf überbauten und stark bzw. großflächig versiegelten Flächen.
Kraftorte sind damit Orte, an denen sich sehr viel Energie sammelt – und das wussten auch schon unsere Vorfahren sowie andere Kulturen. An solchen Plätzen wurden zumeist Kirchen, Sakralbauten oder Tempel errichtet. „Gerade dort, wo Menschen früher Rituale gefeiert haben und den Ort somit selbst mit Dankbarkeit, Heiligtum, Gaben und Respekt bespielten, errichtete man später oft eine Kirche. Diese Kraft des Ortes floss dann auch in den Bau selbst mit ein“, sagt Csurda-Steinwender. Denn was wir aus einem Ort machen, hat natürlich auch Auswirkungen.
Früher gab man der Natur viel mehr zurück. Heutzutage nehmen wir vermehrt. Die Balance stimmt nicht mehr. Darum ist es wichtig, respektvoll und dankbar mit der Natur umzugehen.
Wenn tausende Menschen pro Jahr zur heiligen Quelle von Lourdes pilgern und in ihrem Glauben beten und Dankbarkeit zeigen, dann verstärkt das die Kraft solcher Orte. Auch Soehr sagt: „Selbst eine Straßenkreuzung kann sich in einen kraftvollen Ort verwandeln, wenn wir ihr Zentrum als Platz gestalten und mit Blumen bepflanzen. Dies zeigt, dass menschliches Handeln Auswirkungen auf feinstoffliche Landschaftskräfte hat“. Csurda-Steinwender weist daraufhin, dass es aus dem Grund so wichtig ist, mit welcher Haltung man sich in der Natur aufhält: „Früher gab man der Natur viel mehr zurück. Heutzutage nehmen wir mehr. Die Balance stimmt nicht mehr. Darum ist es so wichtig, respektvoll und dankbar mit der Natur umzugehen. Das beginnt damit, wie ich einen Wald betrete. Lasse ich dort nur meinen Ärger und Stress ab oder hinterlasse ich sogar Müll? Oder achte ich die Natur mit schönen Gedanken und einem Dankeschön.“
Berg oder Meer?
Ebenfalls prägend für einen Ort sind die vier Elemente und die Gewichtung von Yin und Yang, also der weiblichen und der männlichen Energie. „Yin ist nährend, schutzgebend, Yang ist dynamisch und aktivierend. So hat z. B. ein Fluss oder ein See Yin-Energie, ein Wasserfall Yang-Energie.“ Ein Kraftort setzt sich aus den vier Elementen und aus Yin und Yang zusammen. Wie ein Ort auf uns Menschen wirkt, ist aber sehr individuell. So wie es manche Menschen lieber zum Meer zieht als in die Berge. Erstere brauchen das Element Wasser mehr als das Element Luft. Wasser stärkt sie. Unterschiedliche Kraftorte wirken auch auf verschiedene Weise. Es gibt Plätze, die erden uns Menschen mehr. Andere Plätze erfüllen uns mehr mit Freude. Wiederrum andere wirken spirituell. Csurda-Steinwender: „Das große Geschenk der Natur an uns Menschen ist, uns an solchen Orten selber kennenlernen zu dürfen. Was macht der Wald mit mir? Warum fühle ich mich beim Wasserfall wohler als am See? Das zu erkennen, führt zu mehr Bewusstsein – auch über das eigene Sein – und wir können der Natur wieder etwas zurückgeben und Danke sagen.“
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