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Es gibt nicht die eine Jugendsprache. Selbst Jugendliche sprechen untereinander anders – je nachdem, in welcher sozialen Gruppe sie sich befinden (Foto: nazarkru/iStockphoto.com)
Es gibt nicht die eine Jugendsprache. Selbst Jugendliche sprechen untereinander anders – je nachdem, in welcher sozialen Gruppe sie sich befinden (Foto: nazarkru/iStockphoto.com)

„Geht fit, DIGGA“

“Mama”, sagt das Kleinkind zum ersten Mal, und seine Eltern sind begeistert. Das geschieht meist im Alter von 12 bis 18 Monaten. „Papa“, „da“, „Auto“, „Ball“ und „Nein“ sind ebenso die häufigsten ersten Wörter in unserer Sprachentwicklung. Was weit weniger bekannt ist: Schon sehr viel früher beginnt die Spezialisierung jener Regionen im Gehirn, die sprachliche Laute erkennen und verarbeiten. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien am AKH Wien im Comprehensive Center for Pediatrics (CCP) um die Neurolinguistin Dr. Lisa Bartha-Doering konnte zeigen, dass reifgeborene Neugeborene schon am Tag nach der Geburt Sprachlaute von nichtsprachlichen Lauten differenzieren können. Auch die Spezialisierung von bestimmten Bereichen des Stirn- und des Schläfenlappens der linken Hirnhälfte für die Sprachverarbeitung ist bereits in diesem frühen Alter nachweisbar. Das Hörorgan des Fötus ist nämlich schon im letzten Schwangerschaftsdrittel funktionsfähig, ab dieser Zeit bilden sich im Gehirn sprachspezifische Areale. So lernen Babys im Mutterleib, erste Sprachlaute zu unterscheiden.

Hey Babo!

Kinder lernen Sprache und sprechen nach eigenen Regeln. Sie eignen sich nach und nach die Sprache an, die sie in ihrer nächsten Umgebung hören, ihre Mutter- oder Erstsprache. Und sie machen dies aus ihren täglichen Erfahrungen heraus, aus dem, was sie hören, sehen, fühlen und tun. Gleichzeitig ist die Entfaltung der individuellen sprachlichen Fähigkeiten von großer Bedeutung für die gesamte Entwicklung des Kindes. Mit jedem Monat wird so der Wortschatz des Nachkommens größer. Das Kind wird älter, spricht fließender, lernt mit der Sprache auch zu spielen, sie bewusst einzusetzen. In der Pubertät angekommen, können die meisten Eltern vernehmen, wie ihr Teenager anfängt, Wörter oder ganze Sätze in den Sprachgebrauch zu nehmen, die den Eltern vollkommen fremd sind. Plötzlich sagt die Jugendliche „stabil“, wenn man sie fragt, wie ihr Schultag war. Man hört am Telefon „Das geht auf meinen Nacken“, wenn der 15-Jährige mit seinem besten Freund redet. Oder man wird selbst mit „Hey, Babo“ angesprochen. „Bodenlos, lost, i bims, safe und andere Aussprüche in der Alltagssprache versetzen Eltern und Großeltern in Erstaunen oder Kopfschütteln. Gepaart mit englischen Wörtern beklagen zumal ältere Generationen den Verfall der Sprache. Missverständnisse in der Kommunikation sind damit programmiert. Aber stimmt das? Verfällt unsere Sprache? Sprechen Jugendliche bald nur noch Englisch?

Mehr “Du”

Sprache verändert sich permanent und das war schon immer so – durch kulturelle Einflüsse, soziale Bewegungen, Bedürfnis nach Kreativität, Mobilität und in den letzten Jahrzehnten auch durch digitale Vernetzung. „Die größte Veränderung stellen wir beim Wortschatz fest. Man kann ihn generell schwer messen. Es gibt nur Schätzungen. Eine davon ist, dass wir in der deutschen Sprache mit allen Fachwörtern auf einen Wortschatz von zehn bis 30 Millionen kommen. Wobei der aktive Wortschatz, also jener, den wir täglich gebrauchen, bei etwa 30.000 liegt“, erklärt Sprachwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Jürgen Spitzmüller von der Universität Wien.

Im Gegensatz dazu gibt es den passiven Wortschatz. Das sind jene Wörter, die uns bekannt sind, die wir verstehen, wenn wir sie hören, aber die wir selbst nicht gebrauchen. Ein Beispiel: Wir hören das Wort Oida oft im Fernsehen oder bei anderen, selbst gebrauchen wir es in unserem täglichen Ausdruck aber nicht. „Der aktive Wortschatz hat sich zwar verändert, ist in den vergangenen Jahrzehnten in Summe aber nicht gewachsen, der passive hingegen sehr wohl“, sagt Prof. Spitzmüller. So entstehen ständig neue Wörter. „An Corona können wir das sehr gut sehen. Seitdem gibt es Wörter wie „Social Distancing“ oder den „Ellenbogengruß“. Andere Wörter wiederum gab es vorher schon, aber deren Bedeutung hat sich geändert. „Babyelefant“ oder „Cluster“ zählen hierzu.

Eine weitere Veränderung: Englische Wörter werden häufiger gebraucht. Lockdown oder Homeoffice sind nur zwei Beispiele dafür. Umgekehrt gibt es zahlreiche Wörter, die vor einigen Jahrzehnten noch Usus waren, aber heute kaum noch gebräuchlich sind. Zungendrescher (Schwätzer), haselieren (närrisch sein), allenthalben (immer, überall) oder blümerant (flau, übel) sind einige Beispiele. „Je mehr gesellschaftliche Veränderungen es gibt, desto mehr fällt auf, dass wir neue Wörter kreieren und nutzen“, so Prof. Spitzmüller. Die größten Veränderungen in der Sprache der letzten Jahrzehnte sind Anglizismen – vor allem durch die Globalisierung und die Digitalisierung – sowie der Gebrauch des Genderns als Ausdruck einer bestimmten Wertvorstellung.

„Außerdem stellen wir eine markante Veränderung im Gebrauch von „Sie“ und „Du“ fest, erklärt der Sprachwissenschafter. „Durch den Abbau von Hierarchien, aber auch im kommerziellen Bereich hat sich das Du immer mehr durchgesetzt.“ So werden Kunden in Geschäften geduzt, weil es der Firmenpolitik entspricht; Vorgesetzte und Mitarbeiter sind ebenso oft schon per Du. Denn das signalisiert: Wir gehören zusammen. „Nähe und Gleichheit wird mit dem Du hergestellt.“ Durch all diese Veränderungen scheint es fast so, als hätte sich die Sprache vor allem in den letzten Jahren schneller verändert. „Das entspricht aber nicht der Realität, wie wir aus Studien sehen. Es kommt einem nur so vor, weil die Veränderungen sichtbarer sind. Denn die Wahrnehmung (auch durch die neuen Medien) und die Diskussion über die sprachlichen Änderungen sind viel mehr geworden“, sagt Prof. Spitzmüller.

Keine Jugendsprache

Reden alle jungen Menschen nun wie ihre gleichaltrigen Vorbilder auf YouTube, Facebook, Instagram oder in der Klasse? So einfach ist es nicht. „Die eine Jugendsprache gibt es nicht“, sagt Prof. Spitzmüller. Denn Sprache zeige auch immer, wer man sein möchte, und das ist sehr individuell. „Sprache ist ein Ausdruck der eigenen Identität und der Zugehörigkeit.“ Sprechen Jugendliche etwa im Dialekt miteinander, werden damit bestimmte Werte verbunden, die man in der Gruppe teilt. Dass die Sprache bei Jugendlichen nicht vereinheitlicht werden kann, weiß auch Kultursoziologe Dr. Paul Eisewicht von der Technischen Universität in Dortmund: „Es gibt auch nicht die Jugendlichen. Wir differenzieren hier in soziale Gruppen, die sich durch einen spezifischen Lebensstil, ein Milieu und die Sprache auszeichnen.“ Denn selbst Jugendliche sprechen untereinander anders – je nachdem, in welcher sozialen Gruppe sie sich befinden. „Auch wenn man nicht von der einen Jugendsprache sprechen kann, ist die Zeit, in der man aufwächst, prägend für die Sprache“, sagt Dr. Eisewicht. Das Wort „Nachhaltigkeit“ oder „Klimakrise“ ist aktuell bei Jugendlichen mehr im Gebrauch als bei älteren Generationen.

Neben der eigenen Identität spielt auch die Kreativität eine wesentliche Rolle für Jugendliche und ihre Sprache. „Jugendliche gestalten über die Sprache die Welt, sind einfallsreich im Entwickeln von Begriffen, die dann von anderen Generationen übernommen werden. Das war damals auch bei den heutigen ca. 50-Jährigen so. Nur im Alter hört das auf und man behält dann seine eigene Sprache“, so der Experte.

Verfall oder Anpassung

Ist die deutsche Sprache durch all diese Einflüsse nun im Begriff zu verfallen? „Diese Befürchtungen gab es schon immer. Das sehen wir in den ältesten Quellen, die wir haben. Schon im Mittelalter haben sich die Leute darüber beklagt. Jede Generation hat noch gesagt, dass ihre Sprache von so viel Zersetzung bedroht ist wie noch nie zuvor“, weiß Prof. Spitzmüller. „Man muss das natürlich ernst nehmen und darüber diskutieren, aber es stimmt nicht, dass Sprache permanent verfällt. Sprache muss sich stetig anpassen an neue Erfordernisse.“ Denn: Sprache ist auch ein Spiegel von gesellschaftlichen Änderungen.

Ebenso gab es immer schon die geäußerte Besorgnis, dass sich die ältere mit der jüngeren Generation nicht mehr oder kaum noch unterhalten kann. Aber oft verstehen auch die Jungen die Alten nicht mehr. Das hat damit zu tun, dass die Lebenswelten nicht mehr dieselben und die Interessen andere sind. „Aber je mehr wir darüber reden, desto besser ist das auch für die Kommunikation untereinander“, sagt Prof. Spitzmüller. Für beide Seiten gilt: Dem anderen mit Interesse und Offenheit zuhören und einander verstehen wollen. „Wertschätzend sein, dass andere Personen anders sprechen als man selbst, das zeichnet eine vielfältige Gesellschaft aus“, so der Sprachexperte. Das heißt auch: Die Sprache des anderen – und seien es nur einzelne Wörter – nicht abwerten oder sich denken „So redet man doch nicht“. Dr. Eisewicht: „Es braucht Toleranz und Gesprächsbereitschaft in beide Richtungen. Und vielleicht lernt man am Ende ja ganz neue Wörter und erweitert so seinen Wortschatz.“ Fix oder?

Jugendwörter des Jahres

Das Jugendwort des Jahres ist ein Wort, das seit 2008 jährlich von einer Jury unter der Leitung des Langenscheidt-Verlags ausgewählt wird:

2023: Goofy – komisch, tollpatschig 

2022: Smash – etwas mit jemanden anfangen (meist im sexuellen Kontext)

2021: Cringe – peinlich, zum Fremdschämen 

2020: Lost – verloren, ahnungslos 

2019: fiel die Wahl aus

2018: Ehrenmann/ Ehrenfrau – eine Person, die etwas Besonderes für jemanden macht 

2017: I bims – Ich bin es

2016: Fly sein – besonders abgehen

Noch mehr Jugendwörter und was sie bedeuten lesen Sie hier

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