Wir haben elementare soziale Grundbedürfnisse, etwa nach Liebe, Wertschätzung und Nähe zu anderen Menschen. Freude und Spaß zu haben und das Leben zu feiern, ist ein wesentlicher Teil davon. So sind Feste Handlungen, die nach einem gewissen Zeremoniell stetig wiederholt werden. Dieses Wiederholen des Gleichen wirkt ebenso bewusst wie unbewusst und triggert bestimmte archetypische Persönlichkeitsmerkmale an. Wir feiern, weil dadurch einem speziellen Tag, sei es einem gesellschaftlichen oder religiösen Ereignis, besondere Bedeutung beigemessen werden soll und sich zu diesem Zweck Menschen treffen, um miteinander gesellig zu sein. So weit so gut. Aber was ist die Psychologie dahinter?
Gebotener Exzess
So schreibt der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud in seiner kulturtheoretischen Schrift „Totem und Tabu“ folgende, vielleicht anfangs befremdlichen Sätze, über Feste: „Ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht, weil die Menschen infolge irgendeiner Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie die Ausschreitungen, sondern der Exzess liegt im Wesen des Festes. Die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt“. Auf den ersten Blick hört sich diese Definition ganz und gar nicht feierlich an. Freud schrieb dabei über die Entstehung von Kultur und von sogenannten Urvölkern. Denn Feste erlaubten den Menschen, aus dem Alltag auszubrechen. Den „Durchbruch eines Verbots“ erkennen wir zum Beispiel in der Fastenzeit zu Ostern.
Nach der Fastenzeit schließen sich die Feiertage an, an denen wieder üppiges Essen auf den Tisch kommt. Auch in der Faschingszeit finden wir Beispiele zu Freuds Zitat wieder: In dieser Zeit darf man in die Rolle eines gänzlich anderen schlüpfen, sich sogar so anziehen wie eine Person, die man sonst nicht ist.
Freudige und immer wiederkehrende Erlebnisse in der Gruppe zu feiern, und den Alltag ruhen zu lassen – diese Funktion haben Feste, egal ob religiöse, personenbezogene oder jahreszyklische, noch immer. Sie bieten uns Menschen die Möglichkeit, aus dem Alltag auszusteigen und gemeinsam bestimmte Rituale zu zelebrieren. Auch kann durch gemeinsames Feiern die Verbindung vertieft und gefördert werden. Aus psychologischer Sicht haben Feste gar eine entlastende Funktion. Regeln werden, zeitlich begrenzt, außer Kraft gesetzt, es gibt Platz für Kreativität, Spontanität, Spiel, neue Rollen und Gespräche. Jedenfalls können Feste und Feiern sehr individuell gestaltet werden.
Unbewusste Lebensbegleiter
Im Laufe unseres Lebens nehmen wir, auch im Rahmen von Festen, an unzähligen Ritualen teil. Zum Beispiel essen wir zu Weihnachten Fisch, der symbolisch für Glück steht. Auch das Bleigießen zu Silvester ist ein „magisches“ Ritual, in dem wir versuchen, die Zukunft zu deuten. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Rituale verleihen und vermitteln ein besonderes Erlebnis, eine besondere Stimmung, Atmosphäre und Energie, sie geben Kraft und Halt, vertreiben Ängste und Selbstzweifel, bringen Entspannung und Ruhe. Sie gehören einfach zum Leben. Oft merkt man überhaupt nicht, dass man sie vollzieht, andere hingegen gestaltet man ganz bewusst.
Christliche Kirchen und religiöse Gemeinschaften bieten vor allem Rituale für die klassischen Übergänge wie Geburt, Hochzeit und Tod an. Es gibt im Leben aber noch andere „Übergänge“, die uns existenziell berühren und bei denen eine bewusste Gestaltung hilfreich sein kann. Dazu gehören z. B. Schuleintritt und Schulaustritt, Erwachsenwerden, neue Verbindungen, Trennungen, Arbeitsbeginn, Jobverlust. Immer wieder sind es Lebensstationen, die ein Loslassen erfordern, damit ein Neubeginn möglich wird: Aus- und Einzug in ein neues zu Hause, Antritt oder Ende einer langen Reise, Krankheit und Genesung, Pensionierung und vieles mehr.
„Trenne dich nie von deinen Illusionen. Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.“
Das “Stirb-und-Werde-Prinzip”
Seit Menschengedenken gibt es Rituale quer durch alle Länder. So haben sämtliche Naturvölker noch immer spezielle Initiationsriten, etwa Männlichkeitszeremonien. Rituale erwachsen aus der Ursehnsucht des Menschen nach etwas Beständigem. Irmie Schüch-Schamburek, psychologisch orientierte Astrologin und zertifizierte Kräuterpädagogin: „Bei sämtlichen Ritualen handelt es sich um Übergangsrituale und sie spiegeln das ,Stirb-und-Werde-Prinzip‘ wider. Es geht darum, Altes loszulassen und sich Neuem zu öffnen“. So geht es auch zu Silvester darum, das alte Jahr loszulassen und das neue Jahr zu begrüßen. Unter anderem begleiten Glockenläuten und Feuerwerke diesen Übergang. „Früher waren viele Rituale astrologisch bzw. astronomisch orientiert und Indikatoren für lebenswichtige Unternehmungen. Etliche dieser archaischen Brauchtümer aus grauer Vorzeit haben wir übernommen und ein wenig adaptiert“, erklärt Schüch-Schamburek.
Rituale wirken individuell und kollektiv. Das heißt, man kann sie abkoppeln und sie wirken trotzdem noch. Expertin Irmie Schüch-Schamburek: „So können wir uns Silvester kaum entziehen, weil in dieser Nacht das gesamte Kollektiv feiert – und das auch dann, wenn wir selbst nicht feiern. Somit tut es trotzdem etwas mit uns, da die Wirkung über das morphogenetische Feld besteht“. Dieses Feld umgebe uns alle und verbinde alles Bewusstsein miteinander.
„Lebe jeden Tag so, als ob du dein ganzes Leben lang nur für diesen einen Tag gelebt hättest.“
Die Magie der Raunächte
Die Raunächte (12 Mondnächte) sind sogenannte weibliche Nächte – sie beginnen in der Nacht vom 24. auf 25. Dezember und enden in der Nacht vom 5. Januar auf 6. Januar. In anderen Überlieferungen beginnen die Raunächte bereits am Tag der Wintersonnenwende, also am 21. Dezember. Irmie Schüch- Schamburek: „Der tiefere Sinn der Raunächte-Rituale ist, dass wir uns positiv und harmonisch auf das neue Kalenderjahr einstimmen wollen. Wir möchten ein unzerstörbarer Fels in der Brandung des Lebenssturmes sein. Wir streben danach, frei zu sein, die negativen Prägungen abzuschütteln, Glaubenssätze und Ängste zu verarbeiten, die seelischen, geistigen und vielleicht sogar körperlichen Wunden zu heilen oder zumindest einen Heilungsprozess zu initiieren.
In den Raunächten wird seit Urzeiten geräuchert. Dieses alte Brauchtum hat sich bis heute erhalten. Räucherungen sind ein sehr tiefgehendes Ritual und verstärken Stimmungen sowie Energien und öffnen Geist und Seele. Sie führen zu Besinnung, Achtsamkeit und Reinigung.
Geschenk & Dank
Taufe, Geburtstag, Hochzeit und Weihnachten sind die beliebtesten Feste, um anderen Menschen Geschenke zu machen. Blicken wir, jahreszeitlich aktuell, auf Weihnachten, wo Schenken sich stark verselbständigt hat und vom ursprünglichen Sinn meist entkoppelt ist: Zunächst einmal symbolisieren Weihnachtsgeschenke in der christlichen Tradition einen Dank für das Gottesgeschenk, also die Geburt Christi. Zusätzlich wird an die Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland erinnert. Ursprünglich war Weihnachten gar nicht mit Schenken verknüpft. Heute jedoch begehen wir die Bescherung mit großen oder kleinen Geschenken. Aber woher stammt dieser Brauch, der uns Freude, aber auch viel Stress verursachen kann?
Schenken ist eine uralte Tradition und fest in der Geschichte der Menschheit verwurzelt. Noch vor der Einführung des Handels boten Besucher einem anderen Stamm ein kleines Mitbringsel dar, um ihre freundschaftlichen Absichten zu unterstreichen. Der französische Ethnologe und Soziologe Dr. Marcel Mauss bezeichnet diesen Vorgang in Anlehnung an den Philosophen Jean-Jacques Rousseau als „Gesellschaftsvertrag der Naturvölker“, um Frieden zu stiften. Auch heute noch nimmt das Gastgeschenk eine besondere Bedeutung ein.
Nikolaus, Christkind und Weihnachtsmann
Ursprünglich brachte der Nikolaus am 6. Dezember kleine Gaben, etwa Nüsse und Früchte. Vorbild hierfür ist der heilige Nikolaus, der im vierten Jahrhundert in der türkischen Stadt Myra lebte. Der Sage nach hatte er nicht nur ein großes Herz, sondern stiftete durch ein Geschenk auch konkrete Hilfe. So soll er drei arme Schwestern mit vergoldeten Äpfeln, die er heimlich nachts auf ihre Fensterbank legte, vor einem elenden Leben bewahrt haben. Erst im 16. Jahrhundert wurde dieser Brauch für die Protestanten von Martin Luther durch den Heiligen Christ ersetzt. Der Heilige Christ entwickelte sich im Sprachgebrauch fortan zum Christkind, das bis heute meistens als engelsgleich beschrieben wird. Rund 300 Jahre später zogen dann auch die Katholiken nach. Deshalb beschenken wir einander heutzutage nicht nur am Nikolaustag, sondern auch am Heiligabend.
Zum Nikolaus und Christkind ist mittlerweile eine dritte Figur hinzugetreten: der Weihnachtsmann. Ursprünglich eine optische Verschmelzung aus dem Nikolaus und seinem jeweiligen Helfer, brachten die Niederländer ihn als Sinterklaas nach Amerika, genauer gesagt nach New Amsterdam, das heutige New York. Von dort aus wurde er zum weltweit bekannten Santa Claus.
Ein Zeichen der Liebe
Auch, wenn die christliche Geschichte nicht mehr überall im Vordergrund steht, werden Geschenke und das sind nicht nur Weihnachtsgeschenke, sondern auch z. B. Geburtstagsgeschenke – stets mit Verbundenheit assoziiert. Um ein passendes Präsent zu finden, muss der Schenkende die Person zumindest ein wenig kennen, sich mit ihr auseinandersetzen, damit am Ende nicht nur Socken oder die üblichen Gutscheine unter dem Weihnachtsbaum liegen. Schließlich soll es dem Beschenkten gefallen, ob selbstgebastelt oder gekauft. Sich gegenseitig eine Freude zu machen, den Beschenkten wirklich zu erfassen und die Beziehung zu vertiefen, sind der eigentliche Sinn des Schenkens. Und dabei ist es schließlich gleich, wie groß oder teuer das Geschenk ist. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf zählt dann wieder mehr die Geste des Schenkens, die immer am meisten Freude macht.
IN DIESEM SINNE: FROHE WEIHNACHTEN UND ENTSPANNTE FESTTAGE
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