Wir alle wollen gesund sein, den Ausbruch einer Krankheit nach Möglichkeit im Vorfeld verhindern oder sie in einem so frühen Stadium erkennen, dass sie noch gut therapierbar ist. Auf diesen Grundgedanken basiert das Konzept der Vorsorgeuntersuchung, die – wie in vielen anderen Ländern auch der österreichischen Bevölkerung angeboten wird. Erwachsene können an diesen Untersuchungsprogrammen regelmäßig teilnehmen, auch wenn sie keine speziellen Beschwerden oder konkrete Vorbelastungen haben. In Anspruch genommen werden kann die Vorsorgeuntersuchung einmal jährlich kostenlos von allen Personen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr mit Wohnsitz in Österreich. Auch nicht krankenversicherte Personen können die Vorsorgeuntersuchung beanspruchen, wenn sie sich bei der für ihren Wohnsitz zuständigen Gebietskrankenkasse einen Ersatzkrankenschein für die Untersuchung ausstellen lassen.
Was wird untersucht?
Nach Erhebungen der Statistik Austria zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen österreichweit zu den häufigsten Todesursachen, an zweiter Stelle stehen Krebserkrankungen. Deshalb ist ein wichtiges Ziel der Vorsorgeuntersuchungen, die Häufigkeit von Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen sowie die Todesfälle zu senken. Zur Früherkennung einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems wird bei der Vorsorgeuntersuchung ein individuelles Risikoprofil erstellt. Dabei werden die Lebensgewohnheiten (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährungsund Bewegungsverhalten) mit körperlichen und internistischen Werten – wie Gewicht oder Blutdruck – in Beziehung gesetzt. Auch das Screening nach Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist ein wesentlicher Bestandteil der Vorsorgeuntersuchung.
Um das Diabetes-Risiko zu beurteilen, prüft die Ärztin bzw. der Arzt die Krankengeschichte und fragt nach Diabetes-Fällen in der Familie. Mithilfe der Blutzuckermessung können Stoffwechselerkrankungen, die mit einem zu hohen oder zu niedrigen Blutzuckerspiegel einhergehen, diagnostiziert werden.
Krebs früh erkennen
Mit rund 21.000 Sterbefällen im Jahr zählen Krebserkrankungen zu den zweithäufigsten Todesursachen in Österreich. Eine Früherkennung ermöglicht den Einsatz weniger belastender therapeutischer Verfahren als bei fortgeschrittener Erkrankung. Im Rahmen des Vorsorgeprogramms werden folgende Untersuchungen angeboten:
- Gebärmutterhalskrebs. Zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs wird Frauen ab dem 18. Lebensjahr bei der Vorsorgeuntersuchung der sogenannte PAP-Abstrich (Krebsabstrich) empfohlen.
- Brustkrebs. Alle Frauen im Alter zwischen 40 und 69 Jahren, die in Österreich wohnhaft sowie bei einem teilnehmenden Sozialversicherungsträger versichert sind, können alle 24 Monate eine Mammographie-Untersuchung zu Früherkennungszwecken in Anspruch nehmen.
- Darmkrebs. Ab dem 50. Lebensjahr wird alle zehn Jahre eine Koloskopie (Dickdarmspiegelung) und bei jeder Vorsorgeuntersuchung ein Test auf okkultes (optisch nicht sichtbares) Blut im Stuhl angeboten.
Wichtig: Prävention
Ein spezieller Schwerpunkt der Früherkennung wird auf die Prävention von Suchterkrankungen gelegt. Dabei wird der Konsum von Tabak, Alkohol und Medikamenten erhoben sowie Unterstützung und Hilfe bei der Entwöhnung angeboten.
Ab dem 30. Lebensjahr gilt die Parodontitis, eine bakterielle Zahnbetterkrankung, als größter Risikofaktor für Zahnausfall. 70 Prozent der Zahnverluste werden durch eine chronische Parodontitis verursacht. Die Erkrankung verläuft oft schmerzfrei und bleibt daher häufig lange unbemerkt. Ziel der Vorsorgeuntersuchung ist es, das Risiko für Parodontitis zu erkennen und durch geeignete Vorbeugung den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen oder zu stoppen.
Bei Menschen, die über 65 Jahre alt sind, wird bei der Vorsorgeuntersuchung zudem ein vermehrtes Augenmerk auf die Hörund Sehleistung gelegt. Fast ein Drittel der über 65-Jährigen leidet an einer Hörstörung oder Sehbeeinträchtigung. Nachlassendes Hörvermögen wird von vielen Menschen nicht rechtzeitig erkannt. Mit einer entsprechenden Behandlung kann die Lebensqualität erheblich gesteigert werden.
Als die Vorsorgeuntersuchung 1974 in Österreich eingeführt wurde, lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen bei ungefähr 75 Jahren und jene der Männer bei 67 Jahren. Heute leben Frauen durchschnittlich um sieben und Männer um acht Jahre länger.
Wer führt die Checkups durch?
Eine Vorsorgeuntersuchung wird ausschließlich von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit einem eigenen Kassenvertrag für die Vorsorgeuntersuchung oder bei Vertragseinrichtungen bzw. Gesundheitszentren der Krankenkassen durchgeführt. Die Basisuntersuchungen werden von niedergelassenen Ärzten für Allgemeinmedizin, Fachärzten für Innere Medizin sowie Fachärzten für Lungenheilkunde angeboten. Der PAP-Abstrich kann sowohl von Ärzten für Allgemeinmedizin als auch von niedergelassenen Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe durchgeführt werden. Die Mammografie als Zusatzuntersuchung wird von Fachärzten für Radiologie angeboten. Im Rahmen des neuen Österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogramms bekommen Frauen im Alter zwischen 45 und 69 Jahren alle zwei Jahre per Post einen persönlichen Einladungsbrief zur Mammografie-Untersuchung. Frauen im Alter zwischen 40 und 44 Jahren sowie zwischen 70 und 74 Jahren können auf Wunsch bei der kostenlosen Telefon-Serviceline eine Einladung anfordern. Eine ärztliche Zuweisung zur Mammografie ist neben dieser Einladung nicht mehr notwendig. Die Darmspiegelung kann bei Fachärzten für Innere Medizin oder Chirurgie sowie im Krankenhaus auf den Abteilungen für Innere Medizin/Gastroenterologie oder Chirurgie durchgeführt werden. Eine Überweisung ist erforderlich.
Eine Erfolgsgeschichte
Laut dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger trägt die Vorsorgeuntersuchung wesentlich zur in den letzten Jahrzehnten gestiegenen Lebenserwartung bei: Als die Vorsorgeuntersuchung 1974 in Österreich eingeführt wurde, lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen bei ungefähr 75 Jahren und jene der Männer bei 67 Jahren. Heute leben Frauen durchschnittlich um sieben und Männer um acht Jahre länger. Auch bei einzelnen Erkrankungen ließe sich nach Auffassung der Hauptverbandes die Wirksamkeit der Vorsorgeuntersuchung ablesen.
Seit der Einführung einer einfachen Abstrichuntersuchung (PAP-Abstrich) konnte die Sterblichkeitsrate bei Gebärmutterhalskrebs in den letzten zwei Jahrzehnten um 50 Prozent gesenkt werden. Darüber hinaus hat die frühzeitige Behandlung von Bluthochdruck dazu beigetragen, dass die Todesfälle durch Schlaganfall seit 1980 um 45 Prozent zurückgegangen sind. Dass etliche Menschen unter bestimmten Umständen von Früherkennung – vor allem mit manifester familiärer Vorbelastung – profitieren können, bestreiten auch viele Skeptiker nicht. Die Sinnhaftigkeit reihenweiser Screenings an gesunden Menschen ohne konkrete Vorbelastungen wird allerdings auch immer wieder in Zweifel gezogen. Diese Reihenuntersuchungen würden zwar die Anzahl der Diagnosen erhöhen, etwa zu hohe Blutdruck-, Blutzucker- und Cholesterinwerte ermitteln, doch insgesamt hätten die Rundum-Checkups kaum spürbaren Nutzen für die Bevölkerung 1 . Denn: Die teuren Maßnahmen, so kritische Stimmen, seien nicht geeignet, chronische Erkrankungen zu vermeiden bzw. zu lindern oder Todesfälle zu verhindern. Weil „früh erkennen“ nicht automatisch „länger und gesünder leben“ hieße, sondern manchmal einfach nur „länger krank sein“. Auch sei Vorsorge-Willigen und manchen Ärzten kaum bewusst, dass Testverfahren häufig nicht nur kostspielig sind, sondern den Betroffenen auch schaden können, weil sie mitunter unnötige Ängste schüren und eventuell sogar unnötige Folgeuntersuchungen und unnötige Behandlungen nach sich ziehen können.
Kontroversielle Diskussion
„Das Suchen nach Risiken ist nicht zwangsläufig immer von Nutzen“, ist Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie sowie Inhaberin des Lehrstuhls für Gesundheitswissenschaften an der Universität Hamburg, überzeugt. In ihrem Buch „Unsinn Vorsorgemedizin“ beschreibt sie unter anderem, dass Statistiken, etwa zu Brustkrebs und Mammographie, häufig falsch interpretiert werden. Selbstverständlich, so räumt die Internistin ein, würden einige Frauen durch das Screening vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt werden, aber es seien weniger als gemeinhin angenommen wird. Der Nutzen des Mammographie-Screenings wirke nämlich, in absoluten Zahlen ausgedrückt, deutlich bescheidener als in Prozentzahlen ohne Bezugsgröße, wie sie anfangs üblich waren. Als statistisch gut belegt gilt der Nutzen der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung 3 . Dennoch mahnt Prof. Mühlhauser auch hier zur Vorsicht: „Nach dem Screening mit dem PAP-Test werden sehr viele Frauen – jährlich gibt es bis zu 100.000 Konisationen – vorzeitig operiert.“ Dabei könnten sich leichtgradige Zellveränderungen wieder zurückbilden. „So kann diese medizinische Vorsorge für einen Teil der Frauen auch gesundheitsschädigend sein.“
Verantwortungsvoll leben
In der Traditionellen Chinesischen Medizin ist ein langes Leben und das Erreichen eines hohen Lebensalters bei guter Gesundheit das Ziel der Gesundheitspflege. Im alten China wurde ein Arzt so lange bezahlt, so lange seine Patienten gesund blieben und er sie motivieren konnte, auf ihre Gesundheit zu achten. Ein Konzept, das in der westlichen Medizin so nicht vorgesehen ist. Das soll selbstverständlich nicht heißen, dass Menschen von Vorsorgeuntersuchungen nicht profitieren. Manchmal kann ein knappes Gespräch mit dem Arzt im Rahmen der Vorsorge der „Stein des Anstoßes“ sein, um das Rauchen aufzugeben, auf Safer Sex zu achten oder die Lücken im Impfpass zu füllen. Wichtig ist auch das Achten auf bestimmte Verdachtsmomente und Gefährdungen, wie etwa eine Familiengeschichte, die auf ein erbliches Risiko hindeutet und wo ein frühes Erkennen bzw. Einschreiten einen echten Mehrwert für die Betroffenen hat. Und schließlich ist die Früherkennung einer Erkrankung nicht zu unterschätzen, weil nahezu alle Krankheiten im Frühstadium besser und häufig schonender zu therapieren sind als in fortgeschrittenem Stadium.
Eine ausgewogene Lebensführung liegt in der Eigenverantwortung des einzelnen Menschen. Das wusste niemand besser als Sebastian Kneipp. Sein Postulat „Vorbeugen ist besser als heilen“ und seine fünf Säulen der Lebensführung sind heute genauso gültig wie zu seinen Lebzeiten. Gute Gründe, sich damit vertraut zu machen und es alltäglich umzusetzen.
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