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Schon zehn Jahre vor der Feststellung der antibiotischen Wirkung des Penicillins (1928) wurden sog. Bakteriophagen entdeckt, die nun bei Antibiotikaressistenzen vielfach zum Einsatz kommen könnten (Foto: Asiavision/iStockphoto.com)
Schon zehn Jahre vor der Feststellung der antibiotischen Wirkung des Penicillins (1928) wurden sog. Bakteriophagen entdeckt, die nun bei Antibiotikaressistenzen vielfach zum Einsatz kommen könnten (Foto: Asiavision/iStockphoto.com)

Wenn Antibiotika nicht wirken

In unserer Welt tobt ein erbitterter Kampf zwischen der menschlichen Immunabwehr und den umherschwirrenden Bakterien und Viren. Aber genauso feindlich stehen sich auch Viren und Bakterien gegenüber, wobei beide evolutionär gelernt haben, einander erfolgreich zu bekämpfen. Den Viren ist es gelungen, sich mittels Bakteriophagen zur Wehr zu setzen. Neue Formen der Bakterienbekämpfung abseits der Antibiotika und ohne Resistenzerscheinungen bahnen sich schon an.

Antibiotika haben die wertvolle Eigenschaft, bei einem Infekt die menschliche Zelle intakt zu lassen und nur die Bakterienzelle zu eliminieren. Wichtige Angriffspunkte sind dabei der bakterielle Stoffwechsel und die Bakterienwand. Die Wunderwaffe Antibiotikum droht aber durch Resistenzerscheinungen ihre Wirkung zu verlieren. Mehr als 30.000 Todesfälle jährlich sind EU-weit Folge von antibiotikaresistenten Bakterien, geschätzte 700.000 (Stand 2022) sind es weltweit. Tendenz steigend. Kann die sogenannte Phagen-Therapie Abhilfe schaffen?

Was sind Phagen?

Bakteriophagen sind kurz gesagt Viren mit der Fähigkeit, Bakterien zu befallen. Sie können auf genetischem Weg in Bakterien Vermehrungsprogramme so lange in Gang halten, bis die Masse neu produzierter Viren die Bakterienzelle zum Platzen bringt und so abtötet. Bakterienansammlungen – etwa in einem Entzündungsherd – können dadurch rasch zur Auflösung gebracht werden. Zahlenmäßig dominieren in und um uns die Bakteriophagen. Zum Vergleich: Ein erwachsener Mensch besteht etwa aus etwa 30 Billionen Körperzellen und beherbergt 40 Billionen Bakterien sowie 300 Billionen Phagen!

Bakteriophagen und Bakterien finden sich eigentlich überall, also nicht nur im Erdreich oder in Gewässern, sondern auch in unserem Darm, unserer Haut oder unserem Atmungstrakt. Aufgrund ihrer Kleinheit kann man Bakteriophagen nur mithilfe eines Elektronenmikroskops beobachten. Der Nachweis, dass sie tatsächlich existieren, gelang indirekt über Bakterien: Bringt man eine Bakteriensuspension auf eine Nährstoffschicht (Agarplatte) auf, wachsen sie recht schnell zu einem dichten, trüben Rasen. Befanden sich in der Suspension zusätzlich einzelne Bakteriophagen, so verursachen diese „Löcher“ im Bakterienrasen, weil die Bakterien nach einer Infektion mit einem Phagen schlechter oder gar nicht wachsen bzw. sogar abgetötet werden.

Die in den Phagen gespeicherten Herstellanleitungen für Eiweißstoffe beschreiben 450.000 verschiedene Proteine – ein riesiges Reservoir von Substanzen, die schädlich oder nützlich für ihre Wirtsbakterien und damit letztlich für den Menschen sein können. Ein Forscher-Team erstellte inzwischen einen Katalog mit hunderttausenden viralen Proteinen, die als Basis für die funktionelle Charakterisierung des Darm„Vireom“ dienen sollen. Entdeckt wurden die Bakteriophagen rund zehn Jahre bevor der schottische Bakterienforscher Dr. Alexander Fleming 1928 die antibiotische Wirkung des Penicillins herausfand. Der große Unterschied zwischen Phagen und Antibiotika besteht in der Spezifität ihrer Wirkung. Ein aktueller Vergleich zum besseren Verständnis: Während Antibiotika eher den Charakter von breit zerstörenden Massenvernichtungswaffen haben, sind Phagen Präzisionswaffen mit hoher Zielgenauigkeit. Analog zur modernen Kriegsführung schädigen solche Phagen nur ganz bestimmte Bakterienzellen. Sie befallen also jeweils nur eine Bakterienart, sehr häufig sogar nur einen bestimmten Stamm einer Art. Diese Spezifität sorgt dafür, dass bakterielle Resistenzerscheinungen ausbleiben.

Bakteriophagen-Anwendung

Aufgrund der bedrohlichen Resistenzentwicklungen bei Antibiotika suchen Wissenschafter seit Jahren verstärkt nach neuen Wegen, um gefährliche Pathogene zu beseitigen. Ein möglicher Weg wäre, Viren zur Bekämpfung von Bakterien einsetzten. Denn – wie bereits dargestellt – sind spezielle Viren, sogenannte Bakteriophagen, in der Lage, hochspezifische Stämme einzelner Bakterienarten zu infizieren, sie dann zu ihrer eigenen Vermehrung zu „missbrauchen“ und dabei abzutöten. Viren siedeln dort, wo es warm und feucht ist: in Tümpeln, Flüssen und Meeren, aber auch in Kläranlagen, im Darm von Mensch und Tier oder auf deren Schleimhäuten. Viren sind die am stärksten verbreiteten Organismen auf der Erde! In Einzelfällen wurden und werden die Bakterienkiller bereits therapeutisch eingesetzt:

  • Mukoviszidose. Durch antibiotikaresistente Mykobakterien kam es bei einem jungen Mädchen mit Mukoviszidose zu einer krankhaften Verschleimung der Atemwege. Aufgrund der chronischen Besiedlung mit dem Mycobacterium abscessus erhielt die Patientin bereits acht Jahre lang Antibiotika. Als der Keim auf keine Antibiotika mehr ansprach, entschieden sich die behandelnden Ärzte dazu, nach geeigneten Phagen zu suchen. Sie wurden in einer „Phagen-Sammlung“ fündig. Im Labor stellte man einen Cocktail aus drei Bakteriophagen zusammen, von denen einer gentechnisch so verändert wurde, dass er auflösend wirkte, also die Bakterienzellen zum Platzen brachte. Mit dem Cocktail konnten die Ärzte die Infektion rasch in den Griff bekommen.

  • Cholera. Die epidemischen Cholerafälle im Südosten der einstigen UdSSR waren ein gutes Ziel für PhagenTherapien. Während des Zweiten Weltkriegs konnte in und um Stalingrad herum eine grassierende Epidemie durch die tägliche Verabreichung von Phagen an ca. 50.000 Menschen letztendlich gestoppt werden. Der Erfolg bestätigte sich bei weiteren Cholera-Epidemien in Ost-Pakistan und Afghanistan. Die Rote Armee startete deshalb ein eigenes Prophylaxe-Programm gegen Durchfallund Typhus-Epidemien. In der Zeit des höchsten Infektionsrisikos bekamen die Soldaten alle fünf bis sieben Tage zwei Tabletten mit Phagenzum Schlucken und hatten dadurch sechs- bis achtmal weniger gastrointestinale Infektionen.

Stand der Forschung

Die Phagenforschung wurde in Europa und den USA lange Zeit durch den Erfolg der Antibiotika bei der Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten vernachlässigt. In Europa und den USA hat man die Bakteriophagen nur als Hilfsmittel in der Molekularbiologie eingesetzt, in den Staaten des ehemaligen Ostblocks und in Russland fand die Phagenforschung in kleinem Maßstab eine Heimat.

  • Vorteile. Der große Vorteil der Phagen ist, dass sie im Gegensatz zu Antibiotika absolut spezifisch für ihre Wirtszellen sind. Somit können gezielt die pathogenen Bakterien attackiert werden, während die physiologischen Mikroorganismen ungeschoren davonkommen. Dadurch bleibt die Darmflora ungestört und ein Durchfall (wie nach manch einer Antibiotikumgabe) wird vermieden.

  • Nachteile. Allerdings ist diese Spezifität auch gleichzeitig der große Nachteil der Phagen. Schließlich muss für jede Infektion zunächst der richtige Bakterien-„Killer“ gesucht werden. Das bedeutet, dass zunächst die Erreger dem Patienten entnommen und anschließend kultiviert und gegen verschiedene Phagen getestet werden müssen. Anhand des resultierenden Phagogramms kann dann ein Cocktail aus ein paar unterschiedlich wirkenden Phagen zusammengestellt werden. So vergeht Zeit – eventuell zu viel Zeit für den Patienten. Allerdings ist dieser Schritt unbedingt nötig.

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