Auch wenn der Schulweg für manche Kinder eine Herausforderung darstellt, lohnt es sich, sie alleine zur Schule gehen zu lassen – denn das erspart den Eltern nicht nur Zeit, sondern lässt Kinder auch selbstständiger und selbstbewusster werden. Dabei ist es egal, ob die Wege zu Fuß, mit dem Roller, mit dem Rad oder mit anderen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Die Voraussetzung dafür ist natürlich die entsprechende Verkehrskompetenz, die von klein auf gut trainiert werden will. Joachim Rauch von der AUVA ist für die Prävention in Bildungseinrichtungen zuständig und weiß: „Je früher Kinder richtiges Verkehrsverhalten lernen und je öfter sie dieses wiederholen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch später auf unbegleiteten Wegen wie automatisiert abgerufen wird.“ Man kann also gar nicht früh genug damit beginnen, Kindern die Regeln im Straßenverkehr zu erklären. Dazu zählt auch, dem Kind die Absichten der Verkehrsteilnehmer näher zu bringen – etwa mit Erklärungen, was hinter dem Blinken des Autos steckt. Bis zum Alter von 7 Jahren haben Kinder allerdings ein egozentrisches Weltbild, in dem sie sich selbst für den Mittelpunkt der Welt empfinden. Sie sind also noch nicht dazu in der Lage, Absichten anderer Menschen zu erkennen oder fremdes Verhalten vorherzusehen. Dies ist nur einer von vielen Punkten, weshalb Kinder im Straßenverkehr als unberechenbar gelten.
Fehlende Fähigkeiten
Eine wichtige Voraussetzung für sicheres Verhalten auf der Straße ist, Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig abzuschätzen. Diese Fähigkeit ist bei Kindern allerdings erst gegen Ende der Volkschule, also im Alter von etwa 9 bis 10 Jahren, vollständig entwickelt. Jüngere Kinder schätzen Geschwindigkeiten und Entfernung anhand der Farbe der Autos ein: Schwarze Autos werden als langsamer und weiter entfernt wahrgenommen als weiße Autos. Joachim Rauch rät dazu, dem Kind beizubringen, vor Querungssituationen immer stehenzubleiben. „Das kann auch abseits des Straßenverkehrs umgesetzt werden. So lieben Kinder z. B. Start-Stopp-Spiele. In solchen Spielsituationen können Kinder trainieren, ihre Bewegung zu stoppen.“
Außerdem weisen Kinder bis ins Teenageralter Verzögerungen auf, wenn sie die Straße überqueren wollen. Dadurch verlieren sie Zeit, um die Straße sicher zu überqueren. Erst im Alter von rund 14 Jahren überqueren sie die Straße gleich schnell wie Erwachsene. Auch das muss beim Üben von Verkehrssituationen beachtet werden.
Eine Frage der Perspektive
Der nächste Punkt, der beachtet werden muss, ist die Körpergröße des Kindes. Da sie kleiner sind, können sie das Verkehrsgeschehen noch nicht im gleichen Ausmaß überblicken wie Erwachsene und werden gleichzeitig auch leichter von Autofahrern übersehen. Hilfreich ist, wenn Eltern sich mit der Perspektive des Kindes auseinandersetzen, um mögliche Gefahren besser zu erkennen. „Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme kann durch Rollenspiele und auch durch Beobachtung und Nachahmen von anderen Personen in kleinen Schritten geübt werden“, so Joachim Rauch. Ein weiterer Tipp von ihm: „Leiten Sie Ihr Kind auch an, dass es beim aktiven Sehen den ganzen Kopf dreht, um sich einen Überblick zu verschaffen, da das kindliche seitliche Sehfeld noch nicht dem Sehfeld von uns Erwachsenen entspricht.“
Apropos Sichtfeld: Beim Üben des Schulwegs sollten die Eltern auch die Sicht der Autofahrer bzw. der anderen Verkehrsteilnehmer im Blick haben. Kinder sind nicht nur unberechenbare Verkehrsteilnehmer, sondern aufgrund ihrer Körpergröße auch leichter zu übersehen. Bei Nebel, Regen oder Dunkelheit kommen zusätzlich erschwerende Bedingungen hinzu: Autofahrer können dunkel gekleidete Fußgänger dann erst ab einer Entfernung von 25 Metern erkennen. Hilfreich sind hier reflektierende Kleidung oder sogar eine Sicherheitsweste sowie Reflektoren auf der Schultasche (nach Norm DIN 58124). So werden Kinder schon in über 100 Metern Entfernung von Autofahrern wahrgenommen.
Gefahren erkennen lernen
Kleine Kinder können Gefahren noch nicht erkennen und somit auch nicht vorausschauend handeln. Joachim Rauch: „Um eine Gefahr wahrzunehmen, muss das menschliche Gefahrenbewusstsein fertig entwickelt sein.“ Dies geschieht jedoch erst im Teenageralter. Ein 6-jähriges Kind wird sich einer Gefahrensituation erst bewusst, wenn es unmittelbar in Gefahr ist. Ein 8-jähriges Kind kann in einer bereits gelernten Situation Gefahren vorhersehen. Mit 9 Jahren können die Kinder dann gefahrenminimierende Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen vornehmen. Allerdings fehlen auch hier noch wichtige Kompetenzen: Die Reaktionsfähigkeit ist beispielsweise noch verzögert. Erst im Alter von 14 Jahren erreicht die Reaktionsfähigkeit das Niveau eines durchschnittlichen Erwachsenen.
Zur richtigen Einschätzung von Gefahren zählt auch die Fähigkeit zur Konzentration, die bei Kindern noch nicht so stark ausgeprägt ist. In jüngeren Jahren lassen sich Kinder leicht ablenken (etwa durch einen Ball, der auf die Straße rollt) und sind auch noch nicht zum Multitasking fähig. Wie man beispielsweise durch richtige Ernährung die Konzentration von Kindern fördern kann, lesen Sie hier.
Lernen durch Beobachtung
Damit sich die Kinder am Schulweg möglichst keiner Gefahr aussetzen, gilt aber auch die Vorbildwirkung. „Kinder lernen vor allem durch Beobachtung“, so Joachim Rauch. Und die engsten Bezugspersonen werden dabei am genauesten beobachtet. Außerdem schlägt Joachim Rauch einen 5-Stufen-Plan für mehr Sicherheit am Schulweg vor. Dieser Plan sollte nach Möglichkeit bereits einige Zeit vor Schulantritt bzw. vor dem ersten Alleingang zur Schule umgesetzt werden.
Der 5-Stufen-Plan
Stufe 1: Zunächst erklärt man dem Kind, worauf es im Straßenverkehr in einer bestimmten Situation achten soll. Hier sind auch entsprechende Begründungen hilfreich.
Stufe 2: Nun ist das Kind am Zug und erklärt in bestimmten Situationen, worauf es achtet und was es tun wird. So kann man überprüfen, ob die Erklärungen aus Stufe 1 richtig verstanden und umgesetzt werden.
Stufe 3: Das Kind darf eine gewisse Entfernung allein zurücklegen, während der/die Erziehungsberechtigte ein paar Schritte dahinter geht und das Kind beobachtet.
Stufe 4: Jetzt wird der Schulweg zurückgelegt – ein Stück gemeinsam, ein Stück allein (unter Beobachtung)
Stufe 5: Das Kind darf den Schulweg hin und allein zurück (unter Beobachtung) gehen.
Tipp von Joachim Rauch: „Wiederholen Sie die Stufen 2 bis 4 immer wieder, um mögliche Unsicherheit mit dem Kind zu besprechen und für mehr Sicherheit ihres Kindes zu sorgen.“