Nur mit einer kurzen Hose bekleidet steht der steirische Extremsportler Herbert Pichler im Schnee – konkret am Gletschereis des Hintertuxer Gletschers auf über 3.200 Metern Seehöhe, den er gerade erklommen hat. Barfuß und mit nacktem Oberkörper trotzt er dem eisigen Wind, bevor er sich mit seinen Ski wieder an den Abstieg macht. Mit dabei: ein Kameramann, ein Stirnband mit Sponsorenlogos und eine dünne Jacke (als Absicherung). Weitere Kleidung ist unnötiger Ballast für Herbert Pichler – und Getränke würden bei den Minusgraden ohnehin einfrieren. Kältetraining in seiner extremsten Form – und das Lebenselixier für den steirischen Extremsportler, der bei der Lebenshilfe Ennstal die Tochterfirma „Equalsports“ leistet und sich u. a. auch auf das Training mit beeinträchtigten Menschen spezialisiert hat.
Kältetraining gegen Gelenkschmerzen
Doch wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Herbert Pichler im tiefsten Winter Gipfel in der kurzen Hose bezwingt, während andere sich in Skianzug und Wollpullover hüllen und dennoch frieren? Begonnen hat alles vor rund neun Jahren als Experiment: „Es war eigentlich Zufall, dass ich auf das Kältetraining gestoßen bin. Ich hatte damals starke Gelenksschmerzen und immer wieder vom Effekt von Kältekammern und ähnlichem gehört. Da hab ich mir gedacht: Ich brauche keine Kältekammer, ich kann ja auch einfach selbst hinaus in die Kälte gehen.“ Gesagt, getan: Bereits nach dem ersten Ausflug in die Kälte ging es seinen Gelenken, vor allem seinen Knien, schon deutlich besser. Angefangen wurde dabei freilich nicht mit einer Wanderung ins alpine Gelände: „Man muss in kleinen Schritten beginnen: einmal ohne T-Shirt im Winter aus dem Haus gehen. Sich barfuß in den Schnee oder auf den gefrorenen Boden stellen. Dann einmal für ein paar Minuten spazieren gehen usw.“, erklärt Herbert Pichler.
Der Extremsportler ist von der positiven Wirkung der Kälte auf die Gesundheit überzeugt – und das nicht nur bei körperlichen Beschwerden. „Auch für die Psyche ist es positiv, einfach einmal hinausgehen und die Kälte auf sich wirken zu lassen. Gerade im Winter verkriechen sich die Menschen zuhause, das ist der falsche Ansatz.“ Sein Tipp: „Es bewirkt schon viel, wenn man sich einfach einmal in der Kälte das T-Shirt auszieht und kurz wartet. Wenn man dann wieder hinein ins Warme geht, gibt es einen regelrechten Wow-Effekt.“ Die Voraussetzung dafür, den Körper der Kälte auszusetzen, ist allerdings ein gutes Herz-Kreislauf-System. Er selbst setzt dabei auf Functional Training, das aus Übungen mit Eigengewicht besteht.
Zwischendurch ein Eisbad
Wie Sebastian Kneipp einst im Winter in der Donau ein Eisbad nahm, taucht auch Herbert Pichler zwischendurch in eisige Fluten. „Das dient aber eher nur dem Trainingszweck. Lieber bewege ich mich mit möglichst wenig Kleidung draußen in der Natur und erklimme die Berge“, so Herbert Pichler. Nachmachen ist übrigens nicht empfohlen, zumindest nicht ohne ausreichendes Training und gute Vorbereitung: „Man muss nicht nur mental, sondern auch körperlich unglaublich stark sein. Die Kälte raubt einem 40 % der körperlichen Leistungsfähigkeit. Wenn man sich dann selbst überschätzt oder den richtigen Zeitpunkt übersieht, riskiert man es, zu erfrieren.“
Die Phase der Regeneration
Auch nach dem Ausflug in die Kälte ist Vorsicht geboten. „So eine Trainingseinheit ist so intensiv, dass man hinterher oft nicht einmal mehr Autofahren kann“, warnt Herbert Pichler. Schließlich wandert er bis zu 5 Stunden lang bei Temperaturen von bis zu -20 Grad und Windstärken von bis zu 80 km/h in der kurzen Hose durch die Kälte. Danach mit einem heißen Tee vor das prasselnde Feuer im Kamin setzen? Schlechte Idee. „Das, was ich mache, ist so extrem, dass Wärme danach eigentlich das Schlimmste ist, was man tun kann. Wenn der Körper zu zittern beginnt, weiß ich, dass er sich regeneriert. Aber ich kann das nicht durch Wärme beschleunigen. Nach dem Ausflug auf den Hintertuxer Gletscher waren meine Füße so empfindlich, dass sie eine Woche lang bei Kontakt mit warmem Wasser gebrannt haben“, blickt er auf seine wohl extremste sportliche Erfahrung zurück. Wer Herbert Pichler bei seinen Trainings virtuell begleiten möchte, folgt ihm am besten auf seinem Instagram-Kanal, auf dem er immer wieder Einblicke in seine Trainings mit Gänsehautfaktor gibt.
Trainingseinheiten für alle
Kurse für Kältetrainings bietet Herbert Pichler allerdings nur im begrenzten Ausmaß an. „Es gäbe schon Interessenten, die mit mir so gut wie nackt auf einen Gletscher wandern wollen. Aber das ist mir einfach zu riskant. Viele Menschen unterschätzen, was es bedeutet, barfuß durch den Schnee zu gehen und am Ende dann noch in die Skischuhe zu schlüpfen und bei eisigstem Fahrtwind wieder bergab zu fahren.“ Stattdessen bietet er Kurse mit seiner von ihm selbst entwickelten Functional-evolution-Trainingsmethode an – vor allem für Menschen mit Behinderung. So können auch Menschen mit Down-Syndrom, Rollstuhlfahrer oder ältere Menschen mit ihm gemeinsam trainieren. Und er beweist auch dort: „Unser Körper kann viel mehr, als wir eigentlich glauben!“
Unser Tipp: Die klirrende Kälte des Winters und die verschneite Natur kann man natürlich auch dick eingepackt genießen, z. B. beim Schneeschuhwandern. Nähere Infos für diese Trendsportart gibt’s hier.